Bernd-Wolf Dettelbach: Malerei
Eisfabrik Hannover | 8. Mai bis 5. Juni 2022 | Kuratiert von Dagmar Brand

Einführung von Wilfried Köpke

Bittet man Bernd-Wolf Dettelbach um Deutungen seiner Arbeiten, dann fragt er zurück, was man sehe. Und die Motive der in der Eisfabrik Hannover ausgestellten Bilder sind – auf den ersten Blick – augenscheinlich rasch zu benennen. Es ist weniger die wilde, pastose Farbschlacht der Bilder früher Jahre bei Dettelbach, es sind Männer, Frauen, Kinder, Hähne, Raupen und immer wieder Fische – der Künstler kommt aus dem Norden: In Pinneberg geboren, in Lübeck zur Schule gegangenen, in Hamburg Kunst auf Lehramt und dann in Braunschweig an der HBK Freie Kunst studiert. Da liegt der Fisch nah. Also Ende der Rede mit einem beherzten: Dettelbachs Malerei: Guckst du! Dann siehst du schon!?i
Nun, so einfach macht es der Künstler den Betrachter:innen dann doch nicht. „Ich will die Betrachter ja auch fordern als Maler“ii, so der Künstler selbstbewusst im Vorgespräch beim Atelierbesuch.

Mensch in Welt

Gehen Sie zügig, die Werke mit einem Nicken grüßend, an den Arbeiten vorbei, dann sehen Sie alltägliche Szene: Vater mit zwei Kindern, Familie beim Auspacken, Männer vor ihren Siedlungshäusern. Alles irgendwie vertraut. Die Männer Jedermanns. Die Portraits auf der Empore auch irgendwie bekannt. Bei allen Bildern gewohnte, künstlerisch gekonnte, formale Setzungen im Bild, in der Struktur, im Aufbau: Klare Dreieckskonstruktionen, Beachtung des Goldenen Schnitts, Hervorhebung der Blickachsen der Figuren, Einbeziehung der Betrachtungsposition inkl. des Angeschautwerdens. Aber dann. Dann werden die Arbeiten seltsam, fremd, sperrig. Es stimmt etwas nicht. Der Vater, der seine beiden Söhne vor dem Absturz vom Seil in den Bach mit festem Griff an den Oberarmen bewahrt (Aufpassen, 2014), hat Jungs an der Hand mit Greisengesichtern und Altmännerhaltung: gesenkter Kopf und vorgestreckte Bäuche. Die Männer aus der Siedlung im Triptychon (Siedlung, 2019) haben wie Jagdtrophäen den Fisch, das Karnickel und eine Raupe in der Hand. Wahrscheinlich aus dem Nutzgarten hinter den Häuser, die mit ihrer einzigen Fensterzeile unter dem Dach, wie Schießscharten, seltsam abweisend, bunkermäßig wirken, unzugänglich – schon allein wegen der winzigen Türen – wer kann sie dadurch betreten. Und die Trophäen aus dem Garten überdimensioniert groß: der Fisch, der Karnickelkopf, die Raupe. Was ist da passiert? Wer nicht vorübergegangen ist, sondern stehen geblieben, den zieht das Bild in eine Erzählung. „Beim Anschauen des Bildes warten, was es gibt, leichter sollte man es sich nicht machen“iii, rät Dettelbach den Betrachter:innen. Die Bilder bieten ein Narrativ an, dass sich in einem Lay-over-Effekt über Narrative aus der eigenen Erfahrung, der eigenen Geschichte legt, sie ergänzt, weiterführt. Und jetzt wird klar, warum die Figuren Dettelbachs eine reduzierte Individualität bieten, Jedermanns sind: Als Betrachter ergänze ich sie und erkenne jemanden aus meiner eigenen Lebenswelt wieder, mich oder andere. Dettelbachs Bilder skizzieren, ein erster Befund, Menschen in der sozialen Welt, meiner Welt, das macht sie anziehend wie unheimlich, macht diese Welt der Bilder zu meiner Welt ohne billige Mimesis.

Absurde Welt

Doch diese Welt, das beunruhigt von Bild zu Bild, ist absurd, voller Absurditäten: Warum sind die Jungen so gesichtsalt? Die Tiere so riesig? Die Häuser so unzugänglich? Die Situationen, wie der schaukelnde Junge über den Büroangestellten (Schaukel, 2014), so eigenartig fremd? Was will der Marionettenspieler mit den Fischen (Spieler, 2014)? Der Eselreiter mit einem geköpften Esel und dem Trichter als Trompete? Wer stößt da (Hahnenreiter, 2021) wen vom Sockel: der Mann den Hahn oder der Hahn den Mann und wessen Platz ist der Sockel? Was auffällt: Dettelbach arbeitet mit direkten Gegensätzen und Widersprüchen: jung – alt, heimelig – unheimlich, lebendig – tot, vermeintlich schön – hässlich.
Fragen über Fragen. Lassen wir die Bilder hier unten einen Moment mit diesen Fragen besetzt hängen und gehen nach oben auf die Empore:
Aus der Reihe Komparsen hängen dort acht Portraits. Erneut der Eindruck, alten Bekannten zu begegnen. Und in der Tat hat sich Bernd-Wolf Dettelbach der Kunstgeschichte bedient, aber – bis auf Kardinal Borja (nach Velazquez) – hat er die Nebenfiguren der Ursprungsbilder im großen Format gemalt. Es ist spannend in der inneren Galerie zu suchen, bis man sich der Referenzbilder erinnert. Eine verrate ich Ihnen: Diego Velazquez Bild Las Meninas (Die Hoffräulein). Das beliebteste Bild im Prado, wenn man vom Merchandise ausgeht. „Das Bild im Prado, das die Menschen derart in seinen Bann zieht, zeigt eine blonde Prinzessin, fünf Jahre alt, in einer weißen Krinoline, umgeben von Hoffräulein und Hofzwergen. Mit ihren dunklen Augen blickt sie den Betrachter forschend an. Es ist die Infantin Margarita, die der große Barockmaler Diego Velázquez hier verewigt hat, „Las Meninas“ („Die Hoffräulein“) heißt das Werk.“iv Margarita Teresa wird später die erste Gemahlin Leopold I. von Österreich – ein unglückliches Leben. Das Portrait auf der Empore zeigt die kleingewachsene Frau neben ihr, ein „Hofzwerg“. Das Bild hat viele kunsthistorische Aufmerksamkeit bekommen, man sieht den Maler ebenso darauf, wie die Eltern der Infantin im Spiegel, die namengebenden Hoffräuleins, das blonde, fünfjährige Kind in erwachsener Pose. Dettelbach nimmt den Außenseiter, den Kleinwüchsigen, den Komparsen, die Randfigur als Motiv seines Portraits. Das ist interessant. Gerade weil Dettelbach nicht vor narrativen Bildern zurückschreckt, weiß er um die Dramaturgie der Geschichten, die Erzählweisen, die Funktion der Helden in der Geschichte.v Der Held, und die Struktur dieser Heldenreise scheint universell zu gelten, begibt sich in den Mythen, Märchen und Geschichten auf eine Reise, er trotzt Widerständen, bewältigt Herausforderungen und erlangt am Ende sein Ziel Er wird reich, weise, angesehen; er besiegt den Drachen wie Georg, erobert Troja wie Odysseus, erschlägt den Stärkeren wie David und gewinnt das Herz der Geliebten, den Thron, Ansehen. „Heldin und Held“, lernen angehende Journalist:innen, „sind der kürzeste Weg zur Aufmerksamkeit der Leserin und des Hörers“vi. Der Held. Die Heldin. Ihre Geschichte, die Erzählung. Und Dettelbach weiß darum: „Menschen wollen Erzählungen, und Erzählungen bringen diese Weltkugel zum Torkeln.“vii

Pantoffelhelden

Auf der Empore Nebenfiguren. Und hier unten. Die vermeintlichen Helden erweisen sich als kuriose, abstruse Gestalten. Riesige Fische gefangen, Kaninchen gezüchtet, groß wie ein Hereford-Bulle, Raupen besiegt wie Siegfried den Lindwurm, dem Tod davongefahren (Manege, 2014) – obwohl er hinten auf dem Rand mitläuft, die Avantgarde gebildet – auf einem kopflosen Esel reitend. Echte Helden! Oder doch nur gesellschaftlichen Nebenfiguren, kaum gestreift vom Mantel der Geschichte, die sich aber für die großen Welterklärer und Stützen der Gesellschaft halten? Tradiert wird ein Bonmot von Adorno, dass ich nicht verifizieren konnte: Spießig ist, den Verlust dessen zu betrauern, was man nie besessen hat. Das ist absurd. Aber es trifft so oft unsere gesellschaftliche Wirklichkeit. Es ist absurd, aber: „Ohne dass man die Absurdität als Teil der Wirklichkeit erkennt, kann man diese Welt nicht erklären“viii, konstatiert der Künstler lakonisch. Dettelbachs Helden sind Pseudohelden, angesiedelt zwischen Pantoffelhelden und Antihelden. Und doch wollen viele halt auch mal groß sein.
Macht das so unruhig beim Betrachten der Bilder: Dass die inneren Bilder, die die Arbeiten Dettelbachs evozieren, beschämende, spießige, nervende gesellschaftliche Fixierbilder sind? Und bitter wird das Private dabei politisch. Bernd-Wolf Dettelbach entwirft ironisch-heitere Dystopien. Und man kann sich Ihnen kaum entziehen. Sehen Sie selbst!

Wilfried Köpke 2022 www.wilfried-koepke.de